....und plötzlich ist alles anders - wie soll es weitergehen?

05.06.2017 - Anita Finger

Durch einen Todesfall verändert sich das Leben der Hinterbliebenen, denn nichts und niemand können einen Menschen ersetzen. Für die Hinterbliebenen ist nichts mehr wie vorher. Sie müssen lernen, mit der Lücke, die der Verstorbene hinterlässt zu leben und sich mit der neuen Situation abzufinden. Durch schwere Schicksalsschläge verändern sich auch die Menschen selber und müssen sich neu kennen lernen. Dies braucht Zeit und Geduld. Trauerbegleitungen sind so unterschiedlich wie die Menschen selber. Stirbt ein Mensch nach langer Krankheit, so hatten die Hinterbliebenen die Möglichkeit, sich mit dem kommenden Verlust auseinander zu setzen, sich auf das Leben danach vorzubereiten und Abschied zu nehmen. Der Trauerprozess beginnt schon während der Krankheit. Meine Erfahrung in der Sterbebegleitung zeigt aber immer wieder, dass viele Leute nicht den Mut und die Kraft haben, diese wichtigen Gespräche zu führen. Stirbt ein Mensch plötzlich, so erleben die Menschen oft eine traumatische Situation und verlieren den Boden unter den Füssen. Ein solcher Trauerprozess verläuft somit auch anders und braucht in der Regel sehr viel mehr Zeit. In unserer Kultur bekommt die Trauer meistens nur einen Platz, wenn es sich um den Verlust eines lieben Menschen handelt. Aber auch hier wird die Dauer und Intensität der Trauer durch die Gesellschaft sehr begrenzt. Bei Scheidungen, Arbeits- oder Heimatverlust wenn Freundschaften zerbrechen, wenn Eltern alt werden und ins Heim müssen usw., wird die Trauer oft unterdrückt. Bricht alte Trauer über ein verpasstes nicht gelebtes Leben, (gekränkt, nicht geliebt, nicht gewollt oder ein Leben, das nicht mehr gelebt werden kann oder konnte) hervor, wird es besonders schwierig. In bedrohliche Trauerkrisen können wir auch geraten, wenn chronische und "unheilbare" Krankheiten uns mit dem Verlust von körperlicher Unversehrtheit, von Vitalität und Gesundheit konfrontieren. Im Fühlen, Denken und Handeln bricht Chaos aus. Ich begleite seit Jahren Erwachsene und Kinder, die einen schweren Verlust erlitten haben. "Die Zeit heilt Wunden" diese Aussage gilt nur dann, wenn die Trauer nicht verdrängt, sondern durchlebt wird. Der Trauerweg ist sehr schmerzhaft und dennoch äusserst wichtig, sonst kann sich die Trauer im Körper festsetzen und zeigt sich dann oft in Form von unerklärbaren Schmerzen. Warum ist trauern denn überhaupt so wichtig? Die Trauer hilft uns, die Realität eines Verlustes anzuerkennen und zu akzeptieren. Es ist eine Anpassung an eine Welt, in die der/die Verstorbene nicht mehr zurückkommt. Es gibt leider kein Patentrezept für das Trauern. Die Leute schämen sich oft, wenn Tränen kommen, dabei sind sie so wichtig. Tränen sind die Sprache der Seele. Ein wichtiger Teil in der Trauerbegleitung ist es, heraus zu finden, welcher Seelenschmerz so tief ist, z.B. Heimweh, Verlassenheit, Überforderung, Hilflosigkeit, Verletzlichkeit, Einsamkeit, Wut, fehlende Umarmungen, Zärtlichkeiten usw. Für diesen Prozess habe ich eine spezielle Gefühlskarte kreiert. So können dann diese Themen konkret angegangen werden. Zum Trauern gehört auch das Abschiednehmen. Stirbt jemand an einem plötzlichen Tod, so fehlt dieser wichtige Teil. Oft sagen dann die Leute: "Wenn ich gewusst hätte, hätte ich doch noch.... oder wären wir...". Hier ist es sehr wichtig, das Abschiednehmen noch nachzuholen. Dies kann z.B. mit einem Erinnerungsbuch gemacht werden. Im Laufe der letzten Jahre habe ich eine grosse Sammlung mit angefangenen Briefen und entsprechenden Bildern zusammengestellt. Die Trauernden suchen sich Briefe aus, die sie dann zuhause schreiben können, z.B. "Du bist gegangen, ohne dich zu verabschieden oder ich hatte keine Gelegenheit mehr, dir zu sagen, dass ……" oder "Was mir hilft, sind die Spuren der Liebe die du bei mir hinterlassen hast." So können auch allfällige Schuldgefühle oder alte Verletzungen bearbeitet und geheilt werden. Das Schreiben hilft den Menschen, sich zu verabschieden, dem/der Verstorbenen zu sagen, wie das Leben ohne sie weitergeht und die Hinterbliebenen können erzählen, was sie am meisten beschäftigt. So können auch schöne Erinnerungen oder Erlebnisse aufgeschrieben werden. Es gibt aber auch andere Formen des nachträglichen Abschiednehmens. Vielfach drücken Hinterbliebene ihre Trauer in einer anderen kreativen Art aus, z.B. mit Bilder malen, ein Instrument spielen, trommeln, Blumengestecke anfertigen usw. Für viele Hinterbliebene ist es wichtig, dass sie über ihre Trauer, ihre Ängste und über all ihre Gefühle sprechen können. Eine Frau sagte mir, dass es ihr so helfe, weil ich sie nicht zu trösten versuche, sondern ihr gut zuhöre und dass sie noch über ihre Trauer reden dürfe, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Die Gespräche würden ihr am besten helfen, sich mit der neuen Situation zurecht zu finden. Kinder trauern anders... Es sind aber nicht nur die Erwachsenen die trauern, sondern auch die Kinder. Kinder trauern anders als Erwachsene. Kinder trauern in Raten, sie können sehr traurig und ein paar Minuten später wieder ganz fröhlich sein. Das Verständnis über den Tod verändert sich mit dem Alter der Kinder. Kinder sind sehr interessiert, was mit den Verstorbenen passiert. Es ist unerlässlich, dass man Kindern die Wahrheit sagt, denn sie spüren, wenn wir es nicht tun. Wenn jemand in der Familie stirbt, fühlen sich die Kinder oft schuldig, z.B. weil sie nicht brav oder hilfsbereit waren. Es ist wichtig, dass man ihnen immer wieder sagt, dass sie nicht schuld sind. Die meisten Kinder haben Mühe über ihre Gefühle zu sprechen, deshalb nehme ich verschiedene Hilfsmittel. Ein hilfreiches Buch ist dabei z.B. der Seelenvogel von Michael Snunit und Na´ama Golomb oder über den grossen Fluss von Armin Beuscher und Cornela Haas. Oft suche ich mit den Kindern die Trauer in unserem Körper oder auch mit Tönen. Wir versuchen herauszufinden, wie die Trauer aussieht und formen sie dann mit Ton oder wir malen die Gefühle auf grosse Papierrollen. Im Erinnerungsheft "ich vermisse dich..." können die Kinder Briefe an die Verstorbenen schreiben und malen. Es gibt auch immer wieder Kinder, die Fragen an den/die Verstorbenen aufschreiben, vor allem wenn es sich um Geschwister handelt, z.B. "hast du die Sterne schon gezählt?" oder "kann man auf den Wolken auch Skifahren, hast du einen Engelfreund oder eine Engelfreundin?". Das gibt wunderbaren Gesprächsstoff und oft lasse ich mit den Kindern dann eine Nachricht mit einem Ballon aufsteigen. So können die Kinder aktiv ihren Trauerprozess durchleben. Ich bin immer wieder tief berührt von den Schicksalen der Menschen. Durchlebte Trauerprozesse hinterlassen immer tiefe Spuren und die Hinterbliebenen sind nicht mehr die gleichen Menschen wie vorher. Oft sind die Betroffenen aber überrascht, wie stark, wie tiefgründig, wie kreativ und wie sensibel sie sind. Schicksale verändern nicht nur unser Leben, sondern auch unsere Persönlichkeit. Dadurch verändern sich unsere Wertvorstellungen und die Menschen müssen (dürfen) sich wieder neu kennen lernen. Trauernde nehmen nicht nur die schönen Erinnerungen an Verstorbene mit, sondern "durchlaufen" auch eine tiefe Persönlichkeitsentwicklung. So wird der Tod nicht nur zum "Nehmer", sondern auch zum "Geber". Um zu dieser Einsicht zu gelangen, braucht es Zeit und eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst und seinem Leben, seinen Wertvorstellungen usw. Es ist ein intensiver, schmerzhafter und herausfordernder Prozess, der sich aber letztendlich lohnt, um wieder zu einem freudvollen und erfüllten Leben zurückzufinden. Seit mehr als 9 Jahren begleite ich Menschen auf ihren Trauerwegen und die verschiedenen Schicksale und Lebensgeschichten berühren mich immer wieder neu. Mehr über meine Arbeit und mich finden Sie auf meiner Homepage unter www.wietrauern.ch. Sie können mich gerne auch anrufen unter 079 304 45 10. Ich freue mich auf Sie! Trauer ist die Antwort eines liebenden Herzens auf Verlust und auf Veränderung.